Zuhören
Zuhören ist nicht immer leicht. Wenn einem der Partner, die Kinder, eine Freundin etwas erzählt, sind wir doch manchmal gar nicht bei der Sache. Es interessiert uns nicht, wir haben gerade etwas ganz anderes im Kopf, vielleicht kennen wir ja auch schon alles und das Gegenüber geht uns eher auf die Nerven. Oder aber: Man würde viel lieber selbst erzählen als dem anderen zuzuhören. Das alles erleben wir im Alltag immer wieder. Und das ist meistens auch nicht tragisch, weil es oft ja wirklich keine wichtigen Dinge sind, die uns zu Ohren kommen.
Manchmal aber ist zuhören wichtig. Manchmal haben die, die mit uns reden, ernsthafte Sorgen. Ob ein lieber Mensch gestorben ist, ob die Kinder auf den falschen Weg zu kommen drohen, ob die Gesundheit erhalten bleibt oder das Geld nicht reicht bis zum Ende des Monats. Auch so etwas hören wir immer wieder, und da ist es schon wichtig, auf den anderen zu hören. Denn die Sorgen drängen und können quälen. Sie jemandem anzuvertrauen bringt Erleichterung. Wenn der aber gar nicht zuhört, sind wir enttäuscht, vielleicht sogar verärgert.
Denn jeder hat seine Sorgen, mal mehr, mal weniger. Und jeder erlebt, dass es guttut, sie von der Seele zu reden. Normalerweise weiß man auch, wem man sich anvertrauen kann, einem Menschen jedenfalls, zu dem man Vertrauen hat, mit dem man sich versteht, der Verständnis hat und der – zuhört. Der jedenfalls nicht gleich von sich erzählt oder einen schnellen Rat bereit hat, sondern sich erst einmal einlässt auf das, was er hört.
Für viele Menschen kann auch Gott dieses Gegenüber sein, dem sie sich anvertrauen. Das mag in einem persönlichen Gebet geschehen. Oder in einem Gespräch, um dann gemeinsam vor Gott zu bringen, was einen belastet. Das ist der Sinn der Beichte – die es ja auch in der evangelischen Kirche gibt, nur eben nicht als Pflicht, sondern als Angebot und Chance.
Und Gott hört zu. Darauf dürfen wir vertrauen. Er hört uns und unsere Sorgen, wir dürfen ihm unser Leid klagen und, wenn es sein muss, sogar zornig auf ihn sein. Das ist der erste Schritt, dass wir loswerden, was uns belastet. Ob wir allerdings seine Antwort hören, das ist noch nicht ausgemacht. Manchmal kommt es uns so vor, als gäbe es keine. Aber manchmal spüren wir tief in unserem Inneren, dass er mit uns spricht, uns erleichtert und uns auf eine gute Bahn bringt. Das werden keine konkreten Tipps und Ratschläge sein, aber die erhalten wir von der Telefonseelsorge, in der Psychologie-Praxis oder beim Gespräch mit der Pfarrerin so auch nicht. Was wir konkret tun sollten, das müssen wir selbst entwickeln, das kann uns niemand abnehmen.
Gott spricht aber noch auf eine andere Weise zu uns. Jedenfalls hat er das getan, und das haben Menschen in dem großen Buch aufgeschrieben, das wir die Bibel nennen. Und das, was sie in ihrem Glauben erfahren haben an Antworten Gottes auf ihre Fragen, kann auch für uns Antwort sein auf unsere Fragen. Sozusagen vorab, bevor wir uns selbst an Gott wenden. Deshalb ist es gut und richtig, in der Bibel zu lesen oder sich auf andere Weise mit ihren Gedanken, Geschichten und Geboten zu befassen. Oder mit anderen Worten: Auf Gottes Wort zu hören.
Denn Ohren haben wir, und zuhören können wir auch – wobei das ja nicht nur bei gehörlosen Menschen auch schriftlich geschehen kann. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ sagt Jesus immer wieder zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern. Oder mit den Worten des frühchristlichen Theologen, der den Hebräerbrief verfasst hat: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht.“
Bleiben Sie behütet, gesund und guten Mutes
Ihr Pfarrer Michael Ebersohn
Im Bild: „Der Lauscher“, Holzrelief des Münchner Bildhauers Karl Hemmeter (1904-1986) an der Kanzel der Evangelischen Kreuzkirche, Hanau-Lamboy (Aufnahme: M. Ebersohn)
Mittagsgebet
Wir danken dir, Herr, dass du kein stummer Gott bist,
sondern mit uns redest.
Wir danken dir, dass du kein verborgener Gott bist,
sondern als Mensch unter uns Menschen warst
und bei uns bleiben willst.
Wir danken dir, dass du kein tauber Gott bist,
sondern von uns hören willst,
was uns Freude und was uns Kummer macht,
was uns begeistert und was uns empört,
was wir uns wünschen und wovor wir uns fürchten.
Wir bitten dich: Gib uns den Geist, der alles neu macht,
damit wir lernen,
neu zu hören, was dein Wort uns zu sagen hat,
und neu zu sehen, was wir zu tun haben,
und aufs Neue vor dich zu bringen, was uns bewegt.
Amen.