Vor dem Virus sind alle Menschen gleich
Es ist heute nicht mehr egal, ob in China ein Sack Reis umfällt. Dies ist für mich eine der wichtigsten Lehren aus der Corona-Pandemie. Natürlich wissen wir schon längst, dass wir in einer globalisierten Welt leben, in der vom Kartoffelschäler bis zu den Handys vieles „Made in China“ ist, was wir tagtäglich benutzen. Die Pandemie zeigt mir aber auf erschreckende Weise, wie schnell nicht nur Waren, sondern auch die Viren und der Tod heute um die Welt gehen. Das wird wohl der Preis sein, den wir für Fortschritt und Wohlstand zahlen müssen, oder zumindest für das, was wir für Fortschritt und Wohlstand halten, meinen viele. Oder der Preis dafür, dass wir wieder raus können, fort von zuhause, hinaus in die Welt.
Dabei lerne ich aber langsam noch ein Zweites: Vor dem Virus sind alle Menschen gleich, aber die Kosten der Pandemie sind sehr ungleich verteilt. Die Krankheit verbreitet sich besonders schnell und stark unter Menschen aus, die unter miesen Bedingungen arbeiten und auf engsten Raum zusammenleben müssen. Und der Lockdown, der von einem wie mir vor allem Geduld gefordert hat, bringt andere an den Rand des Ruins, wenn die Aufträge wegbrechen und die Kunden zuhause bleiben. Aber es geht nicht allein um den wirtschaftlichen Schaden. Auch den seelischen Preis der Pandemie zahlen wieder die Kleinen, die Alten, die Armen. Im Kanzleramt gab es keinen „Kindergipfel“, in denen Alleinerziehende, Eltern, Erzieherinnen und Praktiker aus der Schule beraten hätten, wie Homeschooling und Homeoffice in einer Drei-Zimmer-Wohnung bei einem Einkommen zusammen gehen. Ob sich in den Schlachthäusern und der industriellen Landwirtschaft etwas ändert, bleibt abzuwarten. Und dass der „Pflegebonus“ den Pflegenotstand nicht behebt, wissen wir alle. Gerade die Menschen in den Pflege- und Seniorenheimen bleiben weiter von massiven Einschränkungen betroffen, mehr noch als die Kinder. Schön, wenn jetzt mit Voranmeldung drei 45-minütige Besuche pro Woche wieder möglich sind. Aber ich wage zu bezweifeln, dass dies reicht.
Wenn im Main-Kinzig-Kreis die Zahl der Infizierten wieder massiv steigt, halten die Vernünftigen Abstand. Sie ziehen ihre Masken beim Einkaufen und in den Bussen und Bahnen richtig über Mund und Nase und tragen mit ihrer Vorsicht ihren Teil zur Eindämmung des Virus bei. Das dies hilft, haben die vergangenen Monate gezeigt. Die wenigen Unvernünftigen, die endlich wieder Party machen wollen oder alles für eine Verschwörung halten, müssen wir sicherlich in die Schranken weisen.
Aber vor allem dürfen wir die nicht aus dem Blick verlieren, die im Stillen leiden – ohne Lobby und ohne Facebook-Seite. Margarete Stokowski schrieb jüngst in ihrer Kolumne auf spiegel.de: „Die Kritik der Rücksichtslosen und Ignoranten kann nur maximal die Hälfte dessen sein, was zu tun ist. Der Rest ist Kümmern und Bestärken und Aufpassen, dass niemand vergessen wird – auch die Leisen nicht.“ Behüten wir gerade jetzt die besonders gefährdeten Menschen, aber schließen wir sie nicht aus und weg. Das wird Zeit und Geld und viele Testkapazitäten kosten. Aber so zeigen wir dem Virus eine klare Kante: Auch für uns sind alle Menschen gleich wichtig – auch die Kleinen, die Alten, die Armen.
Bleiben Sie behütet.
Ihr Pfarrer Heinrich Schwarz
Mittagsgebet
Guter Gott, die Corona-Krise macht uns Angst. Solch eine Situation hatten wir noch nie. Auf der ganzen Welt werden Menschen deswegen krank. Und noch viel mehr bleiben zu Hause oder auf Abstand zueinander, um sich nicht anzustecken mit dem neuen Virus.
Ich bitte dich: Steh uns bei in dieser Situation. Sei bei den Kranken und den Risikopatienten und bei allen, die sich um sie kümmern. Hilf uns, gelassen zu bleiben. Hilf uns, Solidarität zu zeigen mit denjenigen, die wir jetzt besonders schützen müssen. Gerade für unsere Kinder und für die alten Menschen lass uns einstehen. Lass uns niemanden vergessen.
Guter Gott, gib uns einen langen Atem beim Umgang mit dieser Krankheit. Und schenke uns jetzt Mut und Zuversicht. Amen.
(nach Beate Hirt)