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In die Augen sehen

Liebe Leserin, lieber Leser,

seitdem wir in den Zeiten von Corona Gesichtsmasken tragen, versuche ich oft mein Gegenüber an seinen Augen zu erkennen. „Schau mir in die Augen, Kleines!“ sagt Humphrey Bogart alias Rick zu Elsa, seiner unglücklichen Liebe, in dem Filmklassiker Casablanca, als er sie nach einer Enttäuschung Jahre später wiedersieht.

Er schaut sie eindringlich an. Er sucht ihren Blick und möchte mit seinen Augen in ihren Augen lesen, ja ihr Herz schauen, vielleicht um sie zu verstehen oder um zu spüren, ob da noch etwas von den Spuren der alten Liebe zu finden ist…

Sich in die Augen schauen können Menschen, die sich offen und ehrlich begegnen, die einander vertrauen, nichts verbergen müssen und keine Scheu voreinander haben, zwischen denen nichts Trennendes steht. Wer sich so in die Augen schaut, kann mehr von dem anderen sehen, ja, manchmal bis in sein Herz blicken.

Es ist eine schmerzliche Erfahrung, wenn sich zwei Menschen sehr nahe sind und dann etwas geschieht, das die Beziehung und das Vertrauen zwischen ihnen verletzt, so sehr verletzt, dass sie sich nicht mehr offen in die Augen schauen können.

Wenn die Blicke sich nicht mehr suchen, sondern sich meiden oder abwenden – aus Schmerz, aus Ärger, auch aus Scham oder Schuldgefühl…

Das tut weh, das trennt und macht Angst. Angst, die Nähe des anderen, sein Vertrauen, seine Zuneigung und Liebe zu verlieren.

Ich vermute, dass Mose vielleicht ähnlich empfunden, gefühlt und gelitten hat, als die Israeliten, die er auf Gottes Befehl und Versprechen aus der ägyptischen Gefangenschaft und durch die Wüste Horeb geführt hat, sich von ihm und seinen Gott abwenden und sich ein goldenes Kalb bauen, das nun ihr Gott und Führer sein soll. Ein Gott, den sie sehen und anfassen können, damit sie sich auf ihn verlassen und ihm folgen.

Mose ist enttäuscht und wütend, als der das sieht, und zerbricht die Steintafeln mit den Geboten, die er von Gott empfangen hat – als Wegweiser für das neue Leben in der Freiheit.  Er zerbricht aber auch etwas zwischen ihm und den anderen, es zerbricht auch das Vertrauen und die Nähe zu Gott. Mose will Gottes Angesicht sehen, ihm „in die Augen“ sehen, damit er wieder weiß, dass Gott seine Augen nicht abgewendet hat.

Hier kommt die Liebesgeschichte zwischen Gott und den Menschen an einen schmerzlichen Punkt, denn Mose muss erfahren, dass er Gottes Angesicht nicht sehen kann, dass er nicht in sein Herz schauen und ihn nicht in seinem innersten Wesen erkennen kann. Das ist bitter, das ist wie ein Stachel der Ungewissheit und des Zweifels, ein Nährboden der Angst…

Das wäre wohl das Ende der Beziehung gewesen und ist es leider oft, wenn nicht noch etwas Entscheidendes geschieht…

Gott gibt Mose eine andere Antwort als erwartet. Er sagt ihm: „Ich will meine ganze Schönheit vor dir vorüberziehen lassen und den Namen des Herrn vor dir ausrufen. Ich gewähre Gnade, wem ich will und ich schenke Erbarmen, wem ich will.“ (2. Mose, 33,19)

Mose darf hinter ihm herschauen, aber sein Angesicht darf er nicht sehen. Ja, kein Mensch kann Gott sehen oder sein Angesicht schauen. Wir können Gott nicht sehen, aber seine Gegenwart und sein Wirken wahrnehmen. Gott geht vor uns her. Wir können seine Spuren erkennen und ihnen folgen.

Gott „nachschauen“, heißt, heiter und gelassen, zuversichtlich und hoffnungsvoll auf unseren Weg voraus-schauen!

Bleiben Sie behütet!

Ihr Bernd Schminke
Prädikant und Vorsitzender des Kirchenvorstandes

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