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Knisternde Spannung und Widersprüchlichkeit

Der Auferstandene erscheint zuerst Maria aus Magdala. „Rühr mich nicht an!“ spricht er zu ihr und entzieht sich damit handfest nachprüfbaren Fakten. Ganz anders der Jünger Thomas, der spürbare Beweise will, damit er glauben kann. In der Tradition wird er der „ungläubige Thomas“ genannt. Beide Szenen hat Hilde Ferber in den Glasfenstern in unserer Kirche in Licht und Farben umgesetzt. Ihr Bild vom „ungläubigen Thomas“ legt die Begegnung des Jüngers mit Jesus aus dem Johannes-Evangelium (Johannes 20,19-29) aus.

Wieder sehen wir den Jünger mit dem braunen und mit dem blauen Mantel. Die Jünger schwanken zwischen erdverbundenem Realismus und himmlischer Hoffnung. Rechts von Jesus ein weiter Jünger. Und natürlich Tomas. Die Hand zaghaft ausgestreckt.

Bemerkenswert, dass hier in dieser Szene Jesus nur mit einer Schürze unter seinem roten Umhang bekleidet ist. Wo uns sonst in den Bildern von Hilde Ferber eher der durchgeistigte Jesus begegnet, ist er in dieser Szene, deutlich körperlicher präsent.

Aber das fordert Thomas ja auch. Präsenz, spürbare und begreifbare Zeichen, damit er glauben kann. Ich verstehe das. Glaube will Gewissheit: Ja, Jesus, komm, gib dich mir zu erkennen.

Thomas, der Jünger, der zu spät kommt

Mir war dieser zweifelnde Thomas immer schon sympathisch. Er ist einer, der zu spät kommt. Bei der ersten Erscheinung Jesu im Kreis der Jünger war er nicht dabei, warum auch immer. Ob er gar nicht mehr damit gerechnet hat, dass die Geschichte mit Jesus weitergehen könnte? Vielleicht war er auch schon auf dem Heimweg, wie die Emmaus-Jünger.

„Erst will ich die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen … Mit meinem Finger will ich sie fühlen … Sonst glaube ich nicht!“

Ich kann Thomas diese Haltung nicht übelnehmen, ganz im Gegenteil. Gegenüber Wundern bin ich misstrauisch und übernatürliche Erscheinungen riechen für mich nach Einbildung oder faulem Zauber.

Ich will handfeste Fakten, stichhaltige Beweise und klare, logische Argumente. Sonst kann ich keine vernünftigen Entscheidungen treffen. Ich bin wohl auch so eine Thomas-Existenz. In dieser Welt ist die Grundhaltung eines Skeptikers vielleicht auch nicht die verkehrteste Haltung, gerade bei dem, was uns alles angeboten wird an Heilsversprechen und Verschwörungstheorien.

Die Haltung des Zweifels

Die Hand zögerlich ausgestreckt geht Thomas mit der Haltung des Zweifels auf Jesus zu. Hilde Ferber hat dabei genau diesen »Zwischen-Moment« eingefangen, zwischen dem skeptischen Herangehen und dem Begreifen wollen. Die Berührung des Thomas liegt förmlich in der Luft

Der Jünger im braunen Mantel hebt dabei erschrocken den Arm. Der im blauen Gewand hat seine Hand an Thomas Rücken gelegt. Will er ihn zurückhalten? Thomas aber macht den entscheidenden Schritt auf Jesus zu. Ja, er will ihn berühren. Anfassen. Mit eigenen Händen die Verletzungen spüren. Und mir scheint, der Jünger mit der grünen Jacke, rechts neben Jesus, möchte dies auch. Ihn anfassen, mit eigenen Händen Jesus spüren, neu Vertrauen schöpfen.

Jesus zeigt die Wunden in seinen Händen, die die Nägel geschlagen haben. Demonstrativ und abwehrend zugleich – so empfinde ich es – die Arme angewinkelt, die Handflächen nach außen. „Stopp!“ – schreit mir die Geste geradezu entgegen, wie bei Maria aus Magdala – „Rühr mich nicht an!“ Ich wäre wohl zurückgeschreckt – nicht so Thomas.

Thomas geht auf Jesus zu

Hilde Ferber fängt die ganze knisternde Spannung und Widersprüchlichkeit dieses Geschehens ein. Auferstehung bleibt – auch in Hilde Ferbers Interpretation – ein Geschehen, dass wir nicht körperlich begreifen können.

So bleibt es auch offen – in Hilde Ferbers Bild wie in der Geschichte des Johannes – ob Thomas dann wirklich die Finger in die Wunden legt. Dem Evangelisten wie der Künstlerin reichen, dass Zweifel erlaubt ist.

Skeptisches Nachfragen ist richtig, auch um den schönen Schein zu entlarven, Trugschlüsse und Verblendung aufzudecken. Der Zweifel ist notwendiger Teil christlichen Glaubens.

Glaube aber ist nicht das Ergebnis des Nach-bohrens. Christlicher Glaube verlangt weder blinden Gehorsam noch tastbare Beweise. Aus den Wunden des Gekreuzigten lässt sich nicht auf die Auferstehung schließen. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus am Ende zu seinen Jüngern.

Jesus kommt nach der Auferstehung nicht zurück in sein altes Leben. Es ist nach Ostern nicht alles wieder wie früher. Der Tod bleibt schrecklich und sinnlos. Er zeigt den Jüngern seine Wundmale. Thomas fordert er explizit dazu auf, sie zu berühren. Die Realität des Grauens wird nicht geleugnet. Sie ist da, aber sie schnürt die Jünger nicht mehr vom Leben ab. Ostern führt über den Schmerz hinaus. Ostern lässt hoffen, dass nicht die Sinnlosigkeit, nicht der Abgrund, nicht die Dunkelheit das letzte Wort haben, sondern der Glaube, die Liebe und die Hoffnung.

Dieser schöpferische Sprung aus dem Tod heraus in ein neues Sein ist mit dem Berühren der Wunden nicht zu begreifen, so wenig wie alles Erforschen der Welt Gott nicht beweist. Glauben ist kein Fürwahrhalten, sondern Vertrauen, das gegen alle lebensfeindliche Mächte Gottes Liebe uns trägt.

Der jüdische Pädagoge und Schriftsteller Ernst Akiba Simon (1899-1988) hat es einmal so aus-gedrückt: „In der heutigen Zeit ist der Hauptunterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen nicht der, was sie oder dass sie glauben, sondern dass sie zweifeln. Wir Gläubigen zweifeln, und ohne diesen Zweifel könnten wir nicht glauben.“ Auch in diesem Sinne gilt: Trau dich zu zweifeln und trau dich zu glauben!

Bleiben Sie behütet!
Ihr Pfarrer Heinrich Schwarz

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