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Schnee

Ich liebe es, wenn es schneit. Mein Heimatort im nordhessischen Bergland wird ein- bis zweimal im Jahr von einer dichten Schneedecke überzogen. Durch Millionen und Milliarden kleiner Schneeflocken, die vom Himmel herabtanzen, wird die Welt vor meinen Augen verwandelt. Alles sieht so rein und sauber, so ordentlich und aufgeräumt aus.

„Rings herum, wie ich mich dreh‘,
nichts als Schnee und lauter Schnee.
Wald und Wiesen, Hof und Hecken,
alles steckt in weißen Decken.
Und im Garten jeder Baum,
jedes Bäumchen voller Flaum!
Auf dem Sims, dem Blumenbrett
liegt er wie ein Federbett.
Auf den Dächern um und um
nichts als Baumwoll‘ rings herum.“

So beschreibt der Dichter Friedrich Güll im 19. Jahrhundert den Zauber des Schnees.

Und noch etwas geschieht, wenn es schneit: Der Schnee verschluckt alle Geräusche. Die Welt wird still.

Am Ende eines Skitages in den Berner Alpen genieße ich es manchmal, zusammen mit einem Freund auf der Bergspitze im Schnee zu sitzen und abzuwarten, bis alle Lifte stillstehen. Diese letzte halbe Stunde, bevor die Sonne hinter der Bergkette verschwindet, ist eine besonders intensive Zeit. Die Lifte haben angehalten. Die Motoren der Pistenraupen und Skibobs sind verstummt. Die Welt um mich herum scheint still zu stehen. Keiner von uns spricht ein Wort. Ich wage kaum zu atmen, so still ist es auf einmal. Und allmählich fange ich an zu lauschen… Zu lauschen, ob ich nicht doch irgendein Geräusch hören kann. Den Schrei eines Vogels in der Ferne. Die Geräusche eines Helikopters aus dem Nachbartal. Irgendein Geräusch. Aber nichts. Kein einziger Mucks ist zu hören. Nach einigen Minuten lasse ich den Schnee unter meinen Skischuhen knirschen, nur um sicher zu gehen, dass es nicht an mir liegt, dass ich nichts höre. Dass ich noch die Fähigkeit habe, hören zu können, wenn es etwas zu hören gibt.

„Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Lukas 8,8), fordert Jesus seine Jünger auf. Leichter gesagt als getan, möchten wir heute mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaft und der modernen Lernpsychologie sagen. Denn inzwischen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass wir nur etwa 20% aller Informationen über unser Gehör aufnehmen. Der auditive Lernkanal ist bei den meisten von uns also gar nicht besonders stark ausgeprägt. Weit mehr Informationen nehmen wir durch Sehen oder durch Sehen, Hören und Tun auf. Mein Bibelkunde-Lehrer sprach gerne von der biblischen HUT-Methode: Es geht um‘s Hören und Tun.

Als ich mich auf meine Ordination als Pfarrerin vorbereitet habe, wurde mir ein Satz aus unserem Ordinationsversprechen besonders wichtig. Er steht gleich zu Beginn, im ersten Absatz und beschreibt den Dienst einer Pfarrerin und eines Pfarrers so: „Unser Dienst besteht darin, zu hören und zu beten“ – und dann folgen all die Tätigkeiten, die sich in Statistiken erfassen und messen lassen: Predigt und Sakramentsverwaltung, Gottesdienste, Seelsorge und Unterricht, Diakonie, Mission und Ökumene. Aber, zu Beginn allen Dienstes steht das Hören und Beten.

„Wer Ohren hat zu hören, der höre“, Jesus meint hier also mehr als nur, ein akustisches Signal zu empfangen. Hören in Jesu Sinne beginnt da, wo wir damit rechnen, dass Gott mit uns reden möchte. Uns etwas zu sagen hat – und zwar etwas, das uns helfen und verändern wird, uns heilen und in eine Aufgabe rufen wird. Das freilich geht nur, wenn wir auch hören wollen, was Gott uns sagen möchte.

„Samuel, Samuel“, ruft Gottes Stimme den zukünftigen Propheten Israels. Samuels Antwort wurde seither zur Antwort vieler Menschen, die Gottes Stimme in ihrem Leben hören wollten. Samuel antwortet: „Rede, denn dein Knecht hört!“ (1 Samuel 3,10). Um Gottes Wort zu hören, braucht es ein „aufrichtiges und bereitwilliges Herz“ (Lukas 8,15, Neue Genfer Bibel). Es braucht das offene Herz einer Maria, von der es bei Lukas heißt: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Es braucht das tatkräftige Herz eines Josef, von dem Matthäus erzählt: „Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich“ (Matthäus 1,24) Es braucht das veränderungsfähige Herz eines Paulus, der sich durch Jesu Stimme von seinem Weg und seinen Plänen abbringen lässt und es zulässt, in der Tiefe seines Herzens erneuert zu werden – aus Saulus wird Paulus, aus dem Christenverfolger einer, der Jesus bezeugen und einmal als Zeuge sein Leben für Jesus lassen wird. Um Gottes Wort zu hören, braucht es ein „aufrichtiges und bereitwilliges Herz“ (Lukas 8,15, Neue Genfer Bibel).

Ich wünsche uns zu Beginn dieses Jahres
wieder neu ein hörendes Herz!
Ihre Pfarrerin
Katharina Bärenfänger

Mittagsgebet

Du weckst mich alle Morgen,
du weckst mir selbst das Ohr.
Du hältst dich nicht verborgen,
führst mir den Tag empor,
dass ich mit deinem Worte
begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte
bist du mir nah und sprichst.

Du sprichst wie an dem Tage,
da du die Welt erschufst.
Da schweigen Angst und Klage;
nichts gilt mehr als dein Ruf.
Das Wort der ewgen Treue,
die du uns Menschen schwörst,
erfahre ich aufs neue
so, wie ein Jünger hört.

Du willst mich früh umhüllen
mit deinem Wort und Licht,
verheißen und erfüllen,
damit mir nichts gebricht;
willst vollen Lohn mir zahlen,
fragst nicht, ob ich versag.
Dein Wort will helle strahlen,
wie dunkel auch der Tag.

(Gebet nach Nr. 452 im Evangelischen Gesangbuch „Er weckt mich alle Morgen“)

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