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„Ich gebe euch Wurzeln und Heimat“

Liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie die Wingerte in Niederrodenbach? Die Bezeichnung Wingert weist auf einen Weingarten hin. Hier wurde wahrscheinlich einst Wein angebaut. Woraus besteht so ein Weinstock? Aus Wurzeln, Stamm, Ranken, Blätter, Knospen, Blüten, Früchte Trauben – all das macht einen Weinstock aus. Die Nährstoffe, die durch die Wurzeln und die Blätter gewonnen werden, wandern durch die ganze Pflanze, bis in die kleinste Verästelung, bis hinein in die harte Rinde. Alle Pflanzenteile sind miteinander verbunden und hängen voneinander ab. Ein Weinbauer pflegt seinen Weinstock. Er wässert ihn, er düngt ihn, er stutzt ihn. Er hegt und pflegt ihn. Das Wachstum und die Fruchtreife kann er nicht selbst bewirken. Er kann nur das unterstützen und fördern, was von allein geschieht.

Wie sieht das bei mir aus? Ich sehne mich nach Zugehörigkeit, einer beständigen Verbundenheit. Ich sehne mich danach zu wissen, wo ich hingehöre. Ich sehne mich nach einem Zuhause. Den Ort, in dem ich lebe, die Wohnung, meine Familie und Freunde, meine Kirchengemeinde, meine Arbeit, sie können mir das Gefühl geben, richtig zu sein und meinen Platz im Leben gefunden zu haben.

Aber ich bin keine Pflanze. Ich habe keine Wurzeln, die mich fest im Boden verankern und mir meinen unverwechselbaren Platz in der Welt schenken. Mein Ort, mein Zuhause, mein Leben ist nicht fest und unverrückbar wie der Platz einer Weinrebe im Weinberg. Mit meiner Familie oder meinen Freunden bin ich nicht verwachsen. Wir teilen nicht einen gemeinsamen Stamm wie die Ranken oder Blätter eines Weinstocks. Ich bin haltlos. Meine Zugehörigkeit ist bedroht. Ich verliere meine Arbeit. Meine Familie zerbricht. Ich zerstreite mich mit meinen Freunden. Ich muss meine Wohnung verlassen. Meine Wurzeln und Versorgung werden abgeschnitten. Ich verdorre, habe Angst, weggeworfen zu werden. Ich sehne mich danach, dass jemand oder etwas bleibt. „Bleibe bei mir! Lass mich nicht allein!“

Das Verlangen nach Nähe und Bleiben hat Jesus selbst erfahren. In der letzten Nacht vor seinem gewaltsamen Tod, bat Jesus seine Jünger, bei ihm zu bleiben. „Bleibet hier und wachet mit mir.“ Doch Jesus blieb allein. Die Jünger blieben nicht bei ihm. Sie blieben auch nicht, als er gefangen genommen wurde. Er blieb allein. „Bleibe bei mir! Lass mich nicht allein!“ Sein verzweifelter Ruf wurde nicht gehört. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ In unserer Wurzellosigkeit, in die Bedrohung unserer Zugehörigkeit erzählt Jesus von einer anderen Wirklichkeit:

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Ihr habt längst ein Zuhause. Ihr habt euren Platz, euren festen Ort. Ihr gehört zu mir! Bei mir seid ihr richtig. Ihr werdet versorgt. Ich gebe euch Wurzeln und Heimat. Ihr seid Reben am Weinstock. Ihr müsst nichts dafür tun. Denn ich liebe euch. Ihr gehört zu mir, unabhängig von all euren sonstigen Zugehörigkeiten, unabhängig von eurem Zuhause, der Arbeit, dem Wohnort; unabhängig davon, was ihr könnt oder wisst. Alles, was euch sonst eine Bleibe sein kann, ist in der Welt bedroht. Meine Liebe ist beständig. Bitte bleibt! Bleibt in mir und ich werde in euch bleiben!“

Jesus bittet uns, zu bleiben und in ihm und seinem Wort Zugehörigkeit und Verbundenheit zu finden. Gott schenkt uns diese große Liebe durch Christus, bevor wir etwas leisten, bevor wir irgendwelche Früchte tragen. Es liegt an uns, ob wir dieses Geschenk annehmen und bleiben und dann diese Verbundenheit mit Leben füllen.

Bleiben Sie behütet!
Ihr Prädikant Bernd Schminke

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