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Gedanken zum neuen Jahr

Traditionell endet die Zeit des Wartens, die sogenannte Adventszeit, am Heiligen Abend vor der Christvesper und der anschließenden Bescherung. Oft haben wir sonst nach Vergleichen gesucht, was denn „Warten“ eigentlich bedeutet:

Warten… Wie Kinder gespannt auf die Bescherung warten.

Warten… Wie die Landwirtin nach der Aussaat auf das Wachsen und Gedeihen der Saat wartet – und doch den Wachstumsprozess nicht beschleunigen kann.

In diesem Jahr müssen wir gar nicht nach Vergleichen suchen, was „warten“ denn bedeutet. Dieses Jahr befinden wir uns auch nach der Bescherung an Heiligabend noch im Warte-Modus. Wir sind Wartende – und das schon seit fast 9 Monaten und nicht erst seit Beginn der Adventszeit.

Auf was warten wir?

Wir warten

…auf die Herstellung und gerechte Verteilung eines Impfstoffes

…auf das wiedergewonnene Gefühl von Sicherheit.

…auf eine Rückkehr unserer Bewegungs-, Besuchs- und Reisefreiheit.

…auf ein Ende der Hiobsbotschaften aus den europäischen Nachbarländern und aus unserem eigenen Gesundheitssystem

Wie wird dieses Jahr 2020 also in die Geschichtsbücher eingehen?

Als ein Jahr hoher Infektions- und Todeszahlen im Zusammenhang mit Covid-19? Ein Jahr der Beschränkungen und Entbehrungen. Der Verordnungen und Allgemeinverfügungen.

Als ein Jahr fremdenfeindlicher Übergriffe? – „Black lives matter“.

Als ein Jahr der Querdenker und Straßenprotestler? Der wirtschaftlichen Zusammenbrüche. Der abgeriegelten Seniorenheime und überfüllten Gemeinschaftsunterkünfte. Als ein Jahr häuslicher Gewalt und zunehmender Chancenungleichheit für Unterprivilegierte im Bildungsbereich.

Ja, es stimmt, auf die Verteilung eines Impfstoffes an alle, die auf eine schützende Impfung hoffen, warten wir noch. Aber für vieles andere, was nicht zuletzt auch durch die Covid-19-Pandemie neu ans Licht der Öffentlichkeit und in unser Bewusstsein gerückt ist, haben wir bereits ein Mittel. Stoff für Querdenker. Ein uraltes Haus– und Heilmittel. Unerschöpflich in seiner Verfügbarkeit. Gut bekömmlich, wenn auch nicht ohne Folgen. Das Mittel ist erhältlich unter dem uralten Namen Barmherzigkeit. Und unsere Jahreslosung für 2021 formuliert das so: Jesus Christus spricht:

„Seid barmherzig,
wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36)

Um seinen Jüngern zu veranschaulichen, was er damit meint, erzählt Jesus Geschichten: Die Geschichte des barmherzigen Samariters (Lukas 10), die Geschichte des barmherzigen Vaters(Lukas 15).

Und konkret erklärt Jesus: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben.“ (Lukas 6,37)

Barmherzigkeit ist nach dem Neuen Testament nicht eine natürliche Eigenschaft von uns, sondern eine Eigenschaft von Gott (misericordia Dei). Aus freien Stücken öffnet Gott sein Herz für unsere Not und nimmt sich unserer Sorgen an – nicht abwartend, sondern überaus aktiv.

Solche Barmherzigkeit ist eine Haltung, die uns geschenkt wird. Die uns Gott zur Verfügung stellt, um damit unser menschliches Miteinander zu gestalten — individuell und strukturell, familiär und gesellschaftlich.

Denn die Haltung der Barmherzigkeit ist kein Einzelkind — sie tritt immer zusammen mit ihrer Schwester auf, der Gerechtigkeit. Wo Barmherzigkeit als Haltung unter uns einkehrt, da wird auch Gerechtigkeit folgen. Wo wir uns übereinander erbarmen, ein herzliches Erbarmen empfinden angesichts der Nöte von Menschen in unserem Land und weltweit, da werden wir auch leidenschaftlich dafür eintreten, dass sich ihre Situation durch gerechtere Strukturen, gerechtere Arbeitsbedingungen und gerechtere Bildungschancen zum Besseren wendet.

Wenn wir mit einer neuen Haltung der Barmherzigkeit, mit einer neuen Sehnsucht nach Gerechtigkeit aus diesem Jahr in ein neues Jahr starten, dann hat sich unser Warten doch gelohnt. Dann ist Entscheidendes doch schon bei uns angekommen — eine Haltung der Barmherzigkeit, wirksam in den vielfältigen Nöten unserer Zeit.

Ein frohes und gesegnetes neues Jahr
unter Gottes Schutz und Segen wünscht Ihnen
Ihre Pfarrerin
Katharina Bärenfänger

Diese Gedanken zum neuen Jahr können Sie auch hier anhören:

Mittagsgebet

Ich will dich erheben, mein Gott, du König,
und deinen Namen loben immer und ewiglich.
Der Herr ist groß und sehr zu loben,
und seine Größe ist unausforschlich.
Kindeskinder werden deine Werke preisen
und deine gewaltigen Taten verkündigen.

Gnädig und barmherzig ist der Herr,
geduldig und von großer Güte.

Dein Reich ist ein ewiges Reich,
und deine Herrschaft währet für und für.
Der Herr ist getreu in all seinen Worten
und gnädig in allen seinen Werken.
Der Herr hält alle, die da fallen,
und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.

Gnädig und barmherzig ist der Herr,
geduldig und von großer Güte.

Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.
Du tust deine Hand auf
und sättigst alles, was lebt, nach deinem Wohlgefallen.
Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen,
allen, die ihn ernstlich anrufen.
Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren,
und hört ihr Schreien und hilft ihnen.

Gnädig und barmherzig ist der Herr,
geduldig und von großer Güte.

(Psalm 145, Evangelisches Gesangbuch Nr. 756)

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