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Ein unbarmherziger Gott?

Es ist ein seltsamer Gedanke, dass Jesus sein Leben hingibt als Lösegeld, als Mittel, um uns zu befreien. Aber so haben Theologie und Kirche seinen Tod schon lange verstanden: Damit wir Menschen, die nicht so sind, wie wir sein sollten und könnten, nicht bestraft werden, habe Jesus uns stellvertretend diese Strafe abgenommen. Da stirbt einer, um uns etwas Gutes zu tun. Warum das? Und was habe ich davon?

Wahrscheinlich gibt es keine klare und eindeutige Antwort auf diese Frage. Und überhaupt haben viele Gedanken und Geschichten der Bibel mit Dingen zu tun, die unsere Vernunft übersteigen. Die uns unglaublich erscheinen und die wir womöglich ablehnen … in denen wir aber doch eine tiefe Wahrheit entdecken können, wenn wir ein wenig länger über sie nachdenken und uns auf sie einlassen.

Schon im Alten Testament gibt es Geschichten, die uns verstören und die uns am Glauben an Gott zweifeln lassen. Da fordert Gott vom Stammvater Abraham, dass er seinen einzigen Sohn Isaak, den er erst im späten Alter doch noch bekommen hatte, zu opfern. Also umzubringen. Und Abraham gehorcht: Er führt Isaak auf einen Berg, bindet ihn auf einen Altar und will gerade sein Messer ansetzen, als ein Engel erscheint und ihn davon abhält. Gott habe gesehen, dass Abraham gehorsam ist. Statt Isaak muss nun ein Schaf dran glauben. (1. Mose 22,1-13)

Haben wir es also mit einem unbarmherzigen Gott zu tun, der Kadavergehorsam fordert und für den Menschenleben kaum zählen? Wohl kaum. Denn in ganz, ganz vielen Geschichten zeigt er sich barmherzig und vergibt den Menschen, obwohl die es eigentlich gar nicht verdient hätten. Noah zum Beispiel, der aus der Sintflut gerettet wurde. Und am Ende kommt ja auch Isaak mit dem Leben davon.

Die Geschichte zeigt aber etwas anderes. Sie spiegelt wie so viele andere Geschichten der Bibel menschliche Erfahrungen wider, und zwar solche, die uns verunsichern und mit denen wir kaum oder gar nicht klarkommen. In der jüdischen Tradition ist sie zu einem der zentralen Texte geworden, um die Erfahrungen und das Leid des jüdischen Volkes zu deuten. Man hat sich in Isaak wiedergefunden, nur mit dem Unterschied, dass anders als Isaak vielen Juden der Tod nicht erspart geblieben ist.

Für Christen geht diese Geschichte sogar noch einen Schritt weiter: Jesus wurde geopfert, er ist dem Tod gerade nicht entkommen. Aber daran zeigt sich, dass Gott nicht nur kurz vor der Katastrophe eingreifen kann, sondern sogar noch danach, wenn eigentlich alles schon vorbei ist! Ging es bei Abraham noch darum, so viel Vertrauen wie möglich zu haben, so war der Tod Jesu eine Erfahrung, die das Vertrauen hinter sich lässt. Es war unmöglich geworden, weil ja alles zerstört war. Und doch hat Gott Jesus auferweckt, hat ihn zurückgeholt ins Leben – sinnbildlich und stellvertretend für uns –, womit keiner, aber auch wirklich keiner gerechnet hatte.

Es bleibt dabei, das Ganze ist schwer zu verstehen, die Opferung Isaaks wie der Tod Jesu am Kreuz. Wir kommen da an unsere Grenzen. Aber an die kommen wir ja auch in unserem Leben durch Leid, Tod und Enttäuschung. Aber wie das mit Grenzen so ist: Das Ganze kann auch auf die andere Seite kippen und uns Mut geben und Hoffnung: Dass nämlich nach einer dunklen Nacht ein neuer Morgen kommt. Dass unser Leben weitergeht. Dass Gott letztlich doch barmherzig ist. Wissen können wir das nicht. Aber wir dürfen darauf vertrauen.

Bild: Caravaggio: Die Opferung Isaaks, 1603 (de.wikipedia.org)

Bleiben Sie behütet und gesund!
Ihr Pfarrer Michael Ebersohn

Mittagsgebet

Herr, unser Gott, verbirg dein Antlitz nicht vor uns.
Komm uns nahe und gib uns die Kraft,
zu den Menschen zu werden, die du gewollt hast.

So bitten wir dich:
Lass uns nicht müde werden, an das Gute zu glauben,
auch wenn manches dagegen zu sprechen scheint.

Lass uns füreinander da sein,
auch wenn es manchmal schwer fällt.

Lass uns Rücksicht aufeinander nehmen,
auch wenn man alleine schneller am Ziel wäre.

Lass uns Zeit finden für die Menschen,
die am Rande unseres Lebens stehen.

Lass uns Wege der Auseinandersetzung finden,
die ohne Gewalt auskommen.

Lass uns in unserem Umfeld nach Wegen suchen,
die Leben erhalten und fördern.

Lass uns in allem auf dich vertrauen,
dass wir die Kraft finden, nicht zu verzweifeln,
sondern mutig und getröstet unseren Weg zu gehen.

Amen.

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