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Schreien wie ein Kind nach dem Vater

Gedanken zum Sonntag

Wenn sich der Leiter des Augsburger Gebetshauses, der einstige Reformator aus Wittenberg und der frühere Landesbischof der Württembergischen Kirche miteinander über das Thema Beten unterhalten könnten, dann würde das wohl so klingen: „Gebet ist nicht alles, aber ohne Gebet ist alles nichts“ sagte Johannes Hartl. Darum: „Bete, als ob alles Arbeiten nichts nützt und arbeite, als ob alles Beten nichts nützt“, bestätigte Martin Luther. Und Bischof Hans von Keler fuhr fort: „Das Gebet ersetzt keine Tat, aber das Gebet ist eine Tat, die durch nichts ersetzt werden kann“.

Ich selbst betete meist erst ganz zum Schluss, in der großen Gebetsversammlung bei uns im Ort. Denn oft brauchte ich die gesamte Gebetszeit, um mein Gebet vortragsreif zu formulieren. Irgendwie konnten alle besser beten als ich. Onkel Georg hatte immer so gute Gedanken. Und Onkel Heinrich formulierte seine sehr geistreich. Tante Hannchen betete meist kurz vor mir genau das, was ich mir selbst gerade zurechtgelegt hatte. Ein neuer Gedanke musste her. Oder wenigstens neue Worte für den alten. Wieder und wieder redigierte ich mein Gebet. Bis ich es endlich „hielt“.

Irgendwann später beherrschte ich dann die gängigen Formulierungen und konnte zu den Früh- oder wenigstens Halbzeitbetern überlaufen. Und irgendwann noch später erkannte ich: Darum geht es gar nicht. Ich muss beim Beten nicht verkündigen. Ich muss beim Beten nicht meinen rechten Glauben bekennen. Ich muss beim Beten keine immer neuen Worte finden. Menschen spitzen die Ohren – aber Gott horcht auf mein Herz. Beten heißt: Mein Herz verlangt nach dem Vater im Himmel. Luther formuliert das sogar noch drastischer: Beten heißt, zu Gott zu schreien wie ein Kind nach seinem Vater.

„Mama!“ „Papa!“ – Wer von Ihnen sich jetzt gerade angesprochen fühlt, hat dabei wahrscheinlich die Stimme seines Kindes im Ohr. Als Vater und Mutter wissen Sie genau: Mein Kind meint mich! An niemand anderen richtet sich mein Kind gerade. Und von niemand anderem als von mir erhofft es Hilfe.

Als Martin Luther mit 42 Jahren zum ersten Mal Vater wird, ist er erstaunt, wie tief ihn, den großen Doktor der Theologie, die Stimme seines kleinen Sohnes rührt. Und er erkennt: So ist das für Gott, wenn wir beten. Luther formuliert das so: „Nun ist kein Name unter allen Namen, der mehr geschickt mache, uns gegen Gott als ‚Vater‘; das ist eine gar freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es wäre nicht so lieblich oder tröstlich, wenn wir sprächen ‚Herr‘ oder ‚Gott‘ oder ‚Richter‘. Denn der Name ‚Vater‘ ist von Natur aus eingeboren und natürlich süß. Deshalb er auch Gott am allerbesten gefällt und uns zu hören ihn am allermeisten bewegt.“

Zu Gott zu schreien wie ein Kind nach seinem Vater, empfiehlt Martin Luther deswegen. „Vater unser!“ ist so ein kindlicher Schrei. Wer so betet, berührt Gottes Vaterherz.

Bleiben Sie behütet!
Ihre Pfarrerin Katharina Bärenfänger

Bild: S. Hofschlaeger / www.pixelio.de

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