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Jesus Christus – Mensch und Gott auf Erden

Die Predigt von Pfarrer Dr. Michael Ebesohn über Hebräer 1,14 ist auch am Telefon unter 06184-55128 oder direkt hier zu hören.

Liebe Gemeinde!

Sie kennen das: Jedes Ding hat zwei Seiten – jedenfalls die meisten. Aber bei Weihnachten ist das so. Da wird viel erzählt von dem kleinen Kind in der Krippe, von Maria und Josef, von Ochs und Esel, von Hirten auf dem Feld und Wirten in den Herbergen. Da gibt es den Statthalter Quirinius und Engel, die Gott loben. Das ist die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie vom Evangelisten Lukas kennen und wie sie uns auch vertraut ist. Hinter ihr stecken aber klare theologische Aussagen: Wenn gerade die Hirten, die am Ende der sozialen Skala stehen, zuerst zu Jesus kommen, dann ist Jesus der Heiland vor allem für sie, für die kleinen Leute. Er ergreift Partei für die Armen und Bedrückten, für die Notleidenden und Ausgestoßenen. Deshalb reden wir in der Adventsund Weihnachtszeit vom Frieden auf Erden und von Barmherzigkeit. Seinen tätigen Ausdruck findet das in der Sammlung für »Brot für die Welt« oder vergleichbaren Aktionen.

Es gibt aber eine andere Seite, die sich schon in der zweiten ganz bekannten Weihnachtsgeschichte zeigt, der von den drei Weisen aus dem Morgenland. Das sind nämlich keine Armen und Ausgestoßenen, sondern Botschafter fremder Völker, Diplomaten, Unterhändler, bedeutend und reich. Sie bringen wertvolle Geschenke mit und huldigen dem Jesuskind als neu geborenem König – sodass der eigentliche König, Herodes, um seine Macht fürchtet und in Bethlehem alle männlichen Säuglinge umbringen lässt. Diese Geschichte vom neu geborenen König hat uns Matthäus überliefert, der wiederum von Hirten und dem armseligen Stall nichts weiß.

Jesus scheint also beides zu sein, Heiland der Armen, aber auch König und damit mächtig und würdevoll. Das haben schon diejenigen gemerkt, die die Geschichten von Jesus damals aufgeschrieben haben. Je nachdem, was ihnen wichtiger war, haben sie anders von Jesus erzählt.

Noch überspitzter und für unsere Ohren schon fast abgehoben klingt diese andere Seite Jesu in dem kleinen Text, um den es in der heutigen Weihnachtspredigt geht. Er steht ganz zu Anfang des Briefes an die Hebräer und lautet:

Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott früher zu den Vätern geredet durch die Propheten, am Ende dieser Tage aber hat er zu uns geredet durch den Sohn, den er als Erben über alles eingesetzt hat, durch den er auch die Welt erschaffen hat; der hat sich, da er Abglanz von Gottes Herrlichkeit und Abdruck seines Wesens ist und alles in dem Wort seiner Macht trägt, zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt, nachdem er die Reinigung von den Sünden bewirkt hat, und ist erhabener geworden als die Engel, wie auch der Name, den er ererbt hat, vorzüglicher ist als deren Name.

Amen.

Das ist zweifellos nicht auf Anhieb zu verstehen. Denn obwohl es natürlich um Jesus Christus geht, spricht der Abschnitt in erster Linie über Gott, den Vater. Er hat zu den Menschen geredet, hat Kontakt zu uns aufgenommen. Früher, zu den Zeiten des Alten Testaments, tat er das durch die Propheten. Immer wieder neue mussten auftreten, weil die Menschen ihnen nicht glaubten. Jetzt aber hat Gott durch seinen Sohn zu uns geredet. Ihm hat er ungleich mehr Macht und Glanz verliehen, hat ihn regelrecht mit sich selbst auf eine Stufe gestellt. Durch ihn sind die Menschen von der Sünde gereinigt – jedenfalls die, die an ihn glauben. Ihnen wird also das, was sie falsch machen im Leben, nicht angerechnet. Ihnen wird vergeben, weil Jesus Christus stellvertretend für uns Menschen gestorben ist – und in der Auferstehung den Tod sogar hinter sich gelassen hat. Damit sind alle Propheten überholt. Und auch aller Engelglaube ist hinfällig. Engel sind nicht mehr nötig; wir brauchen keine Vermittler mehr.

Diese wenigen Sätze umreißen, worum es im ganzen Hebräerbrief geht. Sie stehen an seinem Anfang wie ein Programm. Was dann folgt, ist eher ein theologisches Lehrschreiben und kein persönlicher Brief, geschrieben an Gemeinden aus der Frühzeit des Christentums, wo man müde geworden war und zu zweifeln begonnen hatte. Hat denn Gott, der an Weihnachten zu den Menschen kam, auch wirklich die Macht, sie zu erlösen? Man hatte nicht viel davon gemerkt, und von einer Wiederkunft Jesu Christi, die er angekündigt hatte, war erst recht nichts zu sehen. Man wartete vergeblich darauf, dass diese Welt vergeht und alles ganz, ganz anders wird, dass eben das Reich Gottes auf Erden anbricht. Gegen diese Frustration muss der Verfasser des Hebräerbriefes die göttliche Macht Jesu Christi betonen, seine Würde als Sohn und als neuer Hohepriester. Die Geschichte vom kleinen Kind in der Krippe, das gekommen ist, die Welt zu erlösen, reichte nicht mehr aus, um die Gemüter zu beruhigen. Es geht im Brief an die Hebräer um den göttlichen Anteil Jesu, um die andere Seite der einen Medaille sozusagen.

Den Vätern der Alten Kirche war klar, dass es diese beiden Seiten in Jesus Christus gibt. Sie haben in langen Diskussionen, manchmal in Auseinandersetzung und heftigem Streit darum gerungen, wie man es in Worte fassen kann, dass Jesus sowohl Heiland der Armen als auch der neue König unter den Herrschenden ist, und zwar gleichzeitig! Sie haben die Formel geprägt: Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Er hat zwei Naturen in einer Person. Er ist gleichzeitig völlig menschlich, mit allem, was dazugehört: Hunger und Durst, Angst und Ärger, Leid, Schmerzen und Tod. Es gibt zahlreiche Geschichten, in denen Jesus ganz menschlich erscheint, in denen er Angst hat, sich ärgert oder einfach nur seine Ruhe haben will. In letzter Konsequenz wird die Menschlichkeit Jesu am Karfreitag deutlich, in seinem Sterben am Kreuz.

Jesus ist aber gleichzeitig ganz und vollständig Gott, der auf Erden so lebt, wie wir als Menschen eigentlich leben sollten, wie wir von Gott bestimmt sind. Er ist Gott, der die Verhältnisse derart umkrempeln kann, dass nichts mehr bleibt, wie es war. Er hat Menschen geheilt, die unheilbar waren, hat Blinde sehend und Lahme gehend gemacht. Er hat unzähligen Menschen neue Hoffnung gegeben und hat sogar den Tod überwunden – in seiner Auferstehung an Ostern.

Erst beide Teile, beide Naturen zusammen machen deutlich, wer Jesus Christus wirklich war und ist. In einfachen Worten ausgedrückt: Wenn Jesus nicht vollständig Mensch gewesen wäre, wüsste er nicht, wie es uns geht und was zu unserer Erlösung nötig ist. Wenn er nicht vollständig Gott wäre, hätte er überhaupt nicht die Macht, uns zu erlösen. Dann wäre er nur einer von vielen Scharlatanen gewesen, die damals auftraten, viel versprachen und kaum etwas hielten. Und er wäre wahrscheinlich schon lange vergessen.

Da wir Menschen diese Zweigleisigkeit, diese zwei Naturen, nur schwer verstehen können, müssen wir uns immer wieder von einer der beiden Seiten nähern. Wir schauen einmal auf seine menschliche und einmal auf seine göttliche Seite. Und so finden wir auch in der Bibel einmal die Geschichte vom armseligen Stall in Bethlehem und lesen an anderer Stelle von der göttlichen Macht, mit der er auf Erden auftritt.

An Weihnachten sind wir es gewohnt, vom kleinen Kind in der Krippe zu erzählen. Wir betonen damit die menschliche Seite Jesu. Das ist auch gut und richtig, weil uns Gott damit nahe kommt, zu uns in unsere Häuser und in unser Leben, auch heute noch. Wir brauchen diese Nähe, weil sie Frieden in unsere Beziehungen und Wärme in unser Herz bringt. Und doch dürfen wir nie vergessen, dass wir es in dem kleinen Kind auch mit Gott selbst zu tun haben. Weihnachten ist nicht einfach nur ein besinnliches Familienfest, an Weihnachten hat Gott in den Lauf der Welt eingegriffen, hat zu uns geredet. Skeptiker werden sagen, dass sich das nicht beweisen lässt, dass das vor allem keine Konsequenzen gehabt hat. Denn für das äußere Leben der Menschen habe sich nichts geändert. Das war auch der Grund, warum so viele Gemeinden der frühen Jahre in Erklärungsnöte kamen und an dem neuen Glauben zu zweifeln begannen. Aber die christliche Botschaft ist komplizierter, als dass sie nur die Verbesserung der sozialen Lage bringt. Sie verändert die Herzen, sie verändert damit die Menschen und sie verändert die Welt. Denn wenn Gott in die Welt eingreift, dann tut er es mit Macht und in einem Umfang, den wir Menschen nur ganz allmählich begreifen – jedes Jahr an Weihnachten aber ein kleines Stückchen mehr.

Amen.

Diese Predigt zu Weihnachten können Sie auch hier anhören:

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