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Streit und Versöhnung

Nachbarn, die seit Jahren nicht mehr miteinander reden; Geschwister, die einander ständig die alten Geschichten vorhalten; Eheleute, die sich gegenseitig zu Sündenböcken für alles Misslungene machen… Wie schwer ist es, eine Tür, die im Zorn zugeschmissen wurde, wieder zu öffnen. Die Tür ist zu, ich sitze dahinter und habe natürlich Recht, aber ich bleibe allein. Vom Rechthaben kann man nicht leben, und das Rechthaben schließt die zugeschlagene Tür nicht wieder auf. So alltäglich die Situation, so schwer ist der Ausweg.

Selbst Jesus hatte Zoff mit seiner Familie, die ihn für verrückt erklärte, weil er sich so wenig an das hielt, was als normal und wohlanständig galt. Die Bibel blendet solchen Streit nicht aus. Am kommenden Sonntag geht es auch um solch eine zerrüttete Familie, im 1. Buch Mose, im 50. Kapitel wird davon erzählt.

Da war Josef, der Zweitjüngste von zwölf Brüdern aus einer sehr bunt zusammengewürfelten Patchworkfamilie. Jakob, sein Vater hatte 12 Söhne und mehrere Töchter von vier Frauen. Josef war der absolute Liebling von Papa. Er bekam die ausgefallensten Klamotten und war wohl ziemlich von sich überzeugt.

Kein Wunder, dass die übrigen Brüder sauer auf ihn waren. Sie räumen Josef aus dem Weg. Der wird zum Sklaven in einem fremden Land und erfährt das, was wir heute sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nennen. Der Unterschied: Sonst trifft es zumeist Frauen, hier mal einen Mann. Aber vielleicht war er auch gar kein richtiger Mann… aber das wäre eine andere Geschichte. Nun denn, auf jeden Fall: Er landet im Knast, aber am Ende macht er doch Karriere und wird sehr mächtig in diesem fremden Land. Vom Knacki zum Millionär.

Auf der anderen Seite steigt seine Familie in der Heimat sozial ab. Eine Hungersnot macht sie zu Wirtschaftsflüchtlingen. Und da kreuzen sich die Wege wieder. Am Ende sind die Brüder von dem abhängig, den sie damals am liebsten tot gesehen hätten. Und nun auch das noch: Der Vater Jakob, der bisher alles noch zusammengehalten hat, der das Bindeglied zwischen Josef und seinen Brüdern war, der stirbt. Kein Wunder, dass die Brüder nun Angst haben, dass jetzt alles den Bach runter geht.

Doch die Rache bleibt aus. „Aber Gott gedachte es gut zu machen“ – heißt es an entscheidender Stelle. Gott – nicht Josef. Im Namen Gottes durchbricht Josef den Teufelskreis aus Schuld und Rache. Die Bibel verschließt nicht die Augen vor der menschlichen Realität. Im Gegenteil! Aber sie spielt nicht mit, sondern stellt ein anderes Verhalten, stellt Gottes Tun dagegen: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (1. Mose 50,20) ist der Kernsatz, der die Wendung bringt.

Daraus kann ich Hoffnung schöpfen, dass es auch bei uns Auswege aus dem Streit gibt. Auch wenn wir aus Angst hinter unseren zugeschlagenen Türen sitzen und nicht mehr wissen, wie wir aus der Bitterkeit herauskommen sollen. Es gibt einen Weg der Versöhnung. Geschwister haben die Chance, sich zu vertragen, solang die Eltern noch leben. Wenn der Erbfall eintritt, ist es meist zu spät. Nachbarn können Verständnis füreinander aufbringen und müssen nicht Gerichte bemühen, wenn es um eine Hecke geht, die zu hoch wächst oder die Polizei holen, wenn nun wieder das Grillen am lauen Sommerabend mal zu laut wird. Jede und jeder von uns kann den ersten Schritt tun, der die Wendung bringt, weil Gott uns mit seiner Liebe zur Seite steht. So gelingen Vergebung und Versöhnung, wie am Ender der Josefsgeschichte, wo es heißt: „Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.“

Bleiben Sie behütet!
Ihr Pfarrer Heinrich Schwarz

Mittagsgebet

Schnell empören wir uns über andere,
schnell sind wir fertig mit unseren Urteilen.
Manchmal merken wir,
dass unser Urteil uns selbst trifft.
Du, Gott, bahnt neue Wege an
mit Menschen, die Einsicht haben,
die vorsichtig sind in ihrem Urteil,
die Verständnis aufbringen und
mutig erste Schritte gehen aufeinander zu.
Es tut gut, das zu erleben.
Amen.

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