Gedanken zum Sonntag Reminiszere
Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist ein klassisches Dilemma, in dem wir uns heute befinden. Wir sollen glauben, obwohl wir nicht sehen. Wir versuchen von einem Gott zu reden, der nicht eindeutig zu beschreiben ist. Glaubenserfahrungen sind anfechtbar, verschieden interpretierbar.
„Wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen!“ Dieser Wunsch der Pharisäer und Schriftgelehrten spricht mir aus der Seele. Wie häufig wünsche ich mir ein nachvollziehbares Zeichen für die Gegenwart Gottes. Und gleichzeitig weiß ich, dass ich es in dieser Form zumindest in dieser Welt niemals bekommen werde. Bei dem Evangelisten Johannes sagt Jesus dem zweifelnden Thomas: “Selig, sind die Menschen, die nicht sehen und dennoch glauben!“ Spätestens seit dem Tanz um das goldene Kalb wussten bereits die Israeliten: Gott ist nicht von dieser Welt, der Mensch soll und kann sich kein Bild von ihm machen. Schon gar nicht ein dreidimensionales Bild, das in Stein gemeißelt wäre. Glauben und vertrauen ist etwas anders als beweisen und sehen.
Der Wunsch nach einem eindeutigen Zeichen ist sehr verständlich. Doch Jesus weist ihn mit der gleichen Selbstverständlichkeit zurück. Wie aber sollen wir glauben, auch wenn wir nicht sehen und ein unzweideutiger Beweis der Gegenwart Gottes ausbleibt.
„Du kannst die Punkte nicht im Vorausschauen verbinden. Du kannst sie nur irgendwann in deiner Zukunft verbinden, wenn du zurückschaust. Also musst du darauf vertrauen, dass die Punkte irgendwann in deiner Zukunft verbunden sein werden.“
Dieses Zitat stammt von Steve Jobs, einem der Begründer von Apple. Er kommt zu seiner Erkenntnis am Ende eines sehr persönlichen Einblicks in seine Biographie. Jobs erzählt davon, wie er adoptiert wird. Wir er mit 17 nach sechs Monaten auf einem College alles hinschmeißt und mit extrem wenig Geld überleben muss. Steve Jobs erzählt, wie dieser Abbruch sein Leben entscheidend prägen wird. Denn er beginnt Dinge zu tun, die ihn interessieren. Er belegt einen Kurs in Kalligraphie und Typographie. Und die Fertigkeiten, die er dort erlangt, werden ihm zehn Jahre später helfen, das Schriftbild des ersten Macintosh-Computers zu kreieren. Die Basis für die Erfolgsgeschichte von Apple.
Im Erzählen, im Zurückschauen fügt Steve Jobs die entscheidenden Punkte in seinem Leben zu einem Ganzen zusammen. Und er sagt dann, dass sich irgendwann alles zu einer sinnvollen Lebenslinie zusammenfügen wird. Steve Jobs kommt zu seiner sehr existentiellen und wie ich finde, sehr weisen Einsicht ohne einen christlichen Hintergrund.
Ich verstehe die Gegenwart Gottes in der Nachschau, im Rückblick, im Nachdenken über meinen Weg, den ich gegangen bin. Vieles verstehe ich im Augenblick nicht. Und gerade in krisenhaften Momenten, sehe ich den Sinn zunächst nicht.
Aber dann ist da auf einmal der Gedanke: Neben der leidvollen Erfahrung, neben der Enttäuschung, dem Zerbrechen der Beziehung, der Krankheit, dem schmerzvollen Abschied ist mir auch so viel Gutes begegnet. Gerade am tiefsten Punkt habe ich die Kraft bekommen, die ich gebraucht habe. Haben Menschen mein Leben so sehr bereichert. Habe ich einen anderen Blick auf das Leben gewonnen.
So sehr ich mir auch manchmal ein Zeichen der Gegenwart Gottes wünsche. So sehr Menschen seit Jahrtausenden nach einem schlüssigen Beweis für Gott Ausschau halten. Häufig verstehe ich erst in der Rückschau – und vielleicht auch dann nur in Ansätzen -, warum etwas so und nicht anders passiert ist. Und selbst, wenn ich es nicht verstehe – ich sehe doch: Mein Weg ist weitergegangen. Anders als gehofft und erwünscht. Ich konnte aber dennoch weitergehen.
Als glaubender Mensch entdecke ich im Rückblick Gott, inmitten der Wegmarken und Eckpunkte meines Lebens. Und am Ende trägt mich die Gewissheit: Gott ist an meiner Seite, auch wenn ich es im Moment selbst vielleicht nicht spüre. Und die Punkte fügen sich zusammen zu einer Lebenslinie. Wahrscheinlich hat Steve Jobs sich bei seiner Erkenntnis auch von Sören Kierkegaard inspirieren lassen. Kierkegaard sagte: Wir müssen das Leben vorwärts leben. Verstehen tun wir es rückwärts.
Bleiben Sie wohl behütet in Glauben und Zuversicht!
Ihr Bernd Schminke
Prädikant und Vorsitzender des Kirchenvorstandes
Mittagsgebet
Gott,
ich erwarte dich im Sturm,
du kommst im Säuseln.
Ich erwarte ich im Licht.
Du kommst in der Dunkelheit.
Ich erwarte dich am Altar,
du kommst am Tresen.
Ich erwarte dich im Gebet,
du kommst in der Diskussion.
Ich erwarte dich, wenn ich Hilfe brauche,
du kommst, wenn ich helfe.
Ich erwarte dich als Herrscher,
du kommst als Kind.
Ich glaube,
du bist meistens anders als ich es erwarte.
Amen.