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Viel gegeben – reich beschenkt

Mit einem Bekannten unterhalte ich mich über den christlichen Glauben. „Der Glaube spielte bei uns zuhause keine Rolle“, sagt er. „Aber wir wurden im Geiste von Kants Kategorischem Imperativ erzogen“. Und der besagt:

„Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“

Das klingt kompliziert. Klar, es ist ja auch von Immanuel Kant, dem großen Philosophen zur Zeit der Aufklärung. Ausführlich reflektiert er diesen ethischen Imperativ in seiner Kritik der praktischen Vernunft. Die Goldene Regel aus der biblischen Bergpredigt formuliert diesen Grundsatz etwas schlichter:

„Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut ihnen auch“.

In diesem Jahr jährt sich der Todestag von Dietrich Bonhoeffer zum 75. Mal, jenem bekannten deutschen Pfarrer und Widerstandskämpfer, der sich als Theologe der Bekennenden Kirche zur Wehr setzte gegen das menschenverachtende und lebensvernichtende Regime der NS-Diktatur. Ihm wurde die Einsicht zur Gewissheit, dass die Grundsätze dieses Regimes den biblischen Maßstäben der Menschenfreundlichkeit Gottes und des menschlichen Miteinanders diametral entgegenstehen. Und es war wohl die Stimme seines Gewissens, die von ihm forderte, für diese Überzeugung auch einzustehen.

Aus seiner Haft im Kellergefängnis der Gestapo-Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin ist ein Gedicht erhalten, das viele Menschen seither berührt:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag“.

Bonhoeffer schrieb dieses Gedicht zum Weihnachtsfest 1943 für seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Er schreibt von einer Geborgenheit inmitten der Einsamkeit seiner Kerkerzelle. Von einem Trost inmitten seiner Zukunftsangst. Er schreibt auch von seiner aufgeschreckten Seele. Von den Lasten des Alten, das sein Herz quält. Noch hat es Macht über ihn. Und doch erkennt Bonhoeffer darin etwas Vorläufiges. Etwas, das jetzt Macht hat, aber das vergehen muss, wenn Gottes wunderbares Heil über uns anbricht, zu dem wir berufen sind.

Bonhoeffer selbst war kein Mensch, der nur auf das Jenseits hin lebte. Er liebte das Leben, „diese() Welt und ihrer Sonne Glanz“. Und er lebte von der inständigen Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seinen Lieben hier in diesem Leben. „Führ, wenn sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht“, betet er in seinem Gedicht. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 hingerichtet. Und doch zeugt diese schriftliche Lebensäußerung, die wir von Bonhoeffer haben, von einer anderen, einer größeren Wirklichkeit, die in seiner Gefängniszelle „unsichtbar sich um (ihn) weitet“. Eine Welt der Stille und des Friedens mitten im Lärm der Folterzellen und Gefängniswelt. Etwas Unfassbares, das unseren Verstand übersteigt, weil es Gottes Wirklichkeit ist, der wir hier begegnen. Gottes bedingungsloser Liebe zu uns, die unsere Wunden heilt. Gottes tiefem Frieden, der unsere aufgeschreckte Seele behütet und tröstet.

Wem viel anvertraut ist, von dem wird man viel fordern. Und zugleich: Wer viel gibt, wer viel Vertrauen investiert, dem wird auch viel gegeben werden. Auch dieser Gedanke steckt in den Versen und Geschichten des heutigen Sonntags. In der Kargheit und Armut seiner Gefängniszelle öffnet sich für Bonhoeffer der Reichtum von Gottes Wirklichkeit.

Bleiben Sie behütet!
Ihre Pfarrerin Katharina Bärenfänger

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