Nicht mehr lernen, Krieg zu führen?
Am 6. August vor 75 Jahren explodierte die erste Atombombe. Auf Befehl des amerikanischen Präsidenten Truman wurde sie über der japanischen Stadt Hiroschima gezündet, drei Tage später, am 9. August 1945, die zweite auf Nagasaki. Sie beendeten das millionenfache Sterben des Zweiten Weltkriegs und brachte zugleich unvorstellbares Grauen über die Opfer. Das Grauen war so gewaltig, dass die Bombe kein drittes Mal gezündet wurde – außer zu den mehr als 2.000 Kernwaffenversuchen seither. Mit diesem Bombenabwurf auf Hiroschima begann die Phase des Kalten Krieges zwischen Ost und West. Das Gleichgewicht des Schreckens bewahrte uns davor, dass der Krieg allzu nah an uns herankam. Gut, da gab es Korea, dann Vietnam und weit mehr als 100 weitere Kriege in der Welt, aber wir in Europa hatten Ruhe.
Vor 30 Jahren dann kam die Wende. Wir träumten davon, dass mit Gorbatschows Reformpolitik und der unerwarteten Wiedervereinigung Deutschlands nicht nur der Kalte Krieg zu Ende ging.
„Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ hatte der Prophet Micha im Alten Testament (Micha 4,3) vor zweieinhalb tausend Jahren schon gehofft. Die Zeit des Friedens schien so nah zu sein wie nie.
Heute reiben wir uns die Augen und fragen: Wie konnten wir uns nur so täuschen über die Welt und uns Menschen? Nach den bitteren Erfahrungen der letzten Jahrzehnte – vom Jugoslawienkrieg bis zu den Bürgerkriegen in Syrien und im Jemen müssen wir uns eingestehen, es ist kein Frieden auf Erden.
Waffen finden sich noch immer genug, wenn Menschen – wie seit Kain und Abel – aufeinander losgehen. Und es finden sich gerade in den reichen Ländern, nicht zuletzt in unserem Land, noch immer genug Firmen, Interessengruppen, Beamte, aber auch viele einfache Menschen in den Betrieben, die lieber Waffen liefern als Pflugscharen. Daran lässt sich besser verdienen, es sichert Einkommen und Beschäftigung. Für den Frieden zu arbeiten, scheint nichts einzubringen.
Woher dann die Kraft nehmen, für den Frieden zu arbeiten? Mir hilft der Blick auf den Propheten Jesaja, der trotz den Erfahrungen von Hass und Gewalt an seiner Vision festgehalten hat. Diese Sehnsucht nach Frieden ist seither in uns wach – quer durch alle Religionen und Weltanschauungen und obwohl Religion immer wieder dazu missbraucht wird, Waffen zu segnen und Menschen in den Krieg zu schicken.
Seit Kain und Abel sind wir Menschen fehlbar und selbstsüchtig, aber zugleich haben wir die Begabung zur Liebe und Frieden, die Grenzen überwinden. Manche tun das als Träumerei ab. Mag man in der Welt noch weit davon entfernt sein, die Schwerter zu Pflugscharen zu machen und die Panzer zu Traktoren, doch die Vision des Jesaja erinnert mich daran. Aber wenn das Leben von Krieg und Hass bedroht wird, brauchen wir erst recht Menschen, denen das fremd ist. Die Träumer sind die einzigen, die einen Weg in die Zukunft finden. Ich will diesen Traum wachhalten und weitergeben auch an meine Enkel.
Bleiben Sie behütet!
Ihre Pfarrer Heinrich Schwarz
Bilder: Luftaufnahme der US-Army des riesigen Atompilzes über Hiroshima am 6. August 1945 Foto: © Hiroshima Peace Memorial Museum und Foto von der Kirche St. Nikolai, Greifswald, Autor: Condord