AktuellesGlaube & LebenGottesdienste

Orientierung

Liebe Leserin, lieber Leser,
wir suchen nach Orientierung. Und je komplizierter die Zeiten und komplexer die Zusammenhänge, desto größer wird unsere Sehnsucht nach knappen Antworten, klarer Orientierung und einem freien Blick auf das Wesentliche.

Woran sollen wir uns orientieren?, fragen Eltern bei der Erziehung ihres ersten Kindes. An Konsequenz oder Nachsicht oder Einsicht?

Woran sollen wir uns orientieren? Diese Frage beschäftigt auch einen kundigen Mann, der mit Jesus ins Gespräch kommt. Auf seine Frage antwortet Jesus kurz und knapp, worum es in unserem Leben eigentlich geht: Du sollst Gott lieben und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Beide Gebote stehen schon in den fünf Büchern Mose. Sie verbinden uns mit Menschen jüdischen Glaubens. Neu ist die Kombination der beiden Gebote, die Jesus hier schafft. Und genau genommen stecken in der Antwort ja sogar drei Gebote: 1. Gott lieben, 2. meinen Nächsten lieben und 3. mich selbst lieben. Für alle drei Beziehungen gilt nach Jesus: „Du sollst lieben!“ Aber: Kann denn „lieben“ befohlen werden?

„Deus caritas est“, „Gott ist Liebe“ steht als Schriftzug in einem Kirchenfester. „Gott – ist – Liebe“. Drei Worte statt drei Gebote, die alles sagen, worum es in unserem Leben und in unserem Glauben geht. Im 1. Johannesbrief führt der Schreiber dazu aus: „Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ (4,16) und „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“

Aus dem Leben des amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison wird folgende Geschichte erzählt: Eines Tages kam der kleine Thomas Edison von der Schule nach Hause und gab seiner Mutter eine Mitteilung seiner Lehrerin.

Er sagte ihr: „Die Lehrerin hat gesagt, dass ich nur dir diesen Brief geben darf.“

Die Augen seiner Mutter waren von Tränen erfüllt, als sie ihm den Brief laut vorlas:

„Ihr Sohn ist ein Genie. Diese Schule kann ihn nicht entsprechend fördern, da wir nicht genug gute Lehrer haben. Bitte unterrichten sie ihn ab jetzt selbst.“

Viele, viele Jahre später – seine Mutter war längst gestorben und Thomas inzwischen einer der größten Erfinder seines Jahrhunderts – kramte er in alten Familiensachen. Plötzlich sah er in der Ecke einer Schreibtischschublade einen Zettel liegen. Es war der Brief seiner ehemaligen Lehrerin und er las ihn. In dem Brief stand:

„Ihr Sohn ist geistig unterbemittelt und wir möchten ihn nicht mehr an unserer Schule unterrichten.“

Edison weinte daraufhin sehr lange und schrieb in sein Tagebuch:

„Thomas Alva Edison war ein geistig unterbemitteltes Kind und wurde durch die heroische Tat seiner Mutter zu einem der größten Genies dieses Jahrhunderts.“

Manchmal ertappen wir Gottes Liebe auf frischer Tat mitten unter uns. Gottes Liebe sucht nicht das Liebenswerte, sondern sie erschafft es. Unsere Liebe ist ein Echo auf die umfassende Liebe, die uns von Gott entgegenkommt.

Gefüllt mit Gottes Liebe, werden wir anfangen, andere zu füllen, andere barmherzig und wertschätzend in den Blick zu nehmen. Wir werden dies tun, nicht wir sollen dies tun. Wir werden das nicht deshalb tun, weil unser Herz plötzlich vor romantischen Gefühlen zu unseren Mitmenschen überströmt, das ist hier nicht gemeint. Die Liebe, von der hier die Rede ist, ist keine feurige, leidenschaftliche Zuneigung (griech. eros). Es ist auch keine freundschaftliche oder familiäre Verbundenheit (griech. filía). Sondern die Liebe, um die es hier geht, sprengt Landes- und Standesgrenzen, durchbricht Milieu-, Alters- und Interessengruppen. Sie ist gebende Liebe (griech. agápe). Es ist Liebe, die aus Achtung entspringt: aus Achtung vor Gott und aus Achtung voreinander. Sie hat etwas mit Barmherzigkeit zu tun.

Tatsächlich lässt sich Liebe ja schwer messen. Aber Barmherzigkeit ist ein guter Maßstab für unsere Liebe – Barmherzigkeit, nicht Gleichgültigkeit. Lukas schreibt in seinem Evangelium zur Frage der Nächstenliebe: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Wir werden barmherzig mit uns und unseren Mitmenschen, weil wir innerlich gestaltet werden von Gottes barmherziger Liebe. Weil der Geist von Jesus Christus in uns lebt, der aus Liebe für unsere Schuld gestorben ist – und für die Schuld unserer Mitmenschen. Der Geist Jesu, der sich aus Liebe mit meinem und Ihrem Leben identifiziert – und mit dem Leben unserer Mitmenschen. Der Geist Jesu, dessen erste Frucht in uns die Liebe ist (vgl. Galaterbrief, Kapitel 5, Vers 22).

Liebe Leserin, lieber Leser, woran orientieren wir uns? Es geht noch kürzer – zwei Worte statt drei Worte: „Jesus Christus“. In Jesus Christus sind Gott und Mensch, Gottesliebe und Menschenliebe aufs Engste miteinander verbunden. Gott ist Liebe. Wer in Jesus Christus bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Herzlich grüßt Sie
Ihre Pfarrerin Katharina Bärenfänger

Mittagsgebet

Liebe ist nicht nur ein Wort,
Liebe, das sind Worte und Taten.
Als Zeichen der Liebe bist du, Jesus, geboren,
als Zeichen der Liebe für diese Welt.

Freiheit ist nicht nur ein Wort,
Freiheit, das sind Worte und Taten.
Als Zeichen der Freiheit bist du, Jesus, gestorben,
als Zeichen der Freiheit für diese Welt.

Hoffnung ist nicht nur ein Wort,
Hoffnung, das sind Worte und Taten.
Als Zeichen der Hoffnung bist du, Jesus, lebendig,
als Zeichen der Hoffnung für diese Welt.

Amen

(Gebet nach EG 629 Liebe ist nicht nur ein Wort,
Text: Eckart Bücken 1973)

Schreibe einen Kommentar