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Labyrinth: Kein Irrgarten

Liebe Leserinnen und Leser!

Ich lade sie heute zu einer kleinen Reise durch ein Labyrinth ein. Es findet sich auf dem Boden der Kathedrale von Chartre in Frankreich. Im Original misst es mehr als 12 Meter im Durchmesser. Heute reicht ein Stift, um sich auf die Reise zu begeben. Machen wir uns also auf den Weg! Der Eingang ist unten.

Wir gehen hinein und schon nach nur einer Schleife sind wir ganz nahe daran an der Mitte. Vielleicht so, wie die Kinder am Beginn ihres Lebensweges. Es lebt noch ganz aus der eigenen Mitte, spürt alle seine Bedürfnisse und äußert sie auch sofort, getragen von dem Vertrauen versorgt zu werden. Ein Kind zeigt seine Gefühle unverstellt. Es bringt Zuneigung zum Ausdruck, lässt aber auch sehen, wenn es jemanden nicht mag – was für uns Erwachsene manchmal gar nicht so einfach ist.

Aber je älter wir werden, je länger wir auf unserem Lebensweg unterwegs sind, um so weiter entfernen wir uns wieder von der Mitte. Wir kommen auf Wegstrecken, wo wir nicht mehr weiter wissen, wo wir zweifeln, weil wir das Ziel aus den Augen verloren haben. Das sind Zeiten, in denen wir kein Land mehr sehen und Angst haben, dass wir nie mehr froh werden. Zeiten, in denen wir daran zweifeln, dass das alles einen Sinn hat.

Aber die Mitte ist da, auch wenn wir sie nicht sehen können. Und weiter gehen wir und kommen auf Wege, wo wir mühelos und gelassen ausschreiten. Wir sind zufrieden mit dem Leben. Wir freuen uns an Kleinigkeiten und lassen uns nicht verrückt machen – weder vom üblichen Kleinklein der Alltagssorgen noch von großen Herausforderungen. Nein, ohne tiefschürfende Gedanken freuen uns einfach unseres Lebens und leben im Hier und Jetzt.

Nach der nächsten Biegung kann es schon wieder anders aussehen – leider. Unterwegs im Labyrinth wissen wir meist nicht, wo wir sind. Ob das Ziel nahe ist oder noch fern. Aber kurz, bevor wir in der Mitte an-kommen, müssen wir erst noch einmal ganz an den äußeren Rand. Der Weg hin zur Mitte ist kein geradliniger.

Wenn Sie den Weg des Labyrinths bis hierhin nachgezeichnet haben, werde Sie feststellen, dass es nur einen einzigen Weg hin zur Mitte gibt, auch wenn sie bei all den Windungen uns manchmal aus dem Blick gerät. Aber letztlich führt das Labyrinth zum Ziel. Auch auf unübersichtlichen Strecken brauchen wir uns nicht in Hoffnungslosigkeit zu verlieren. Wer hier unterwegs bleibt und Schritt für Schritt weitergeht, kann seine Mitte nicht verfehlen.

Das Labyrinth als Deutung unseres Lebenswegs lädt ein zur Einkehr und zur Heimkehr in die eigene Mitte. Heimzukommen zu uns selbst, eins zu werden mit uns selbst und unserem Körper, eins zu werden mit der Mitte, die uns hält und trägt. Darauf vertraut der Glaube. Leben ist kein Irrgarten, der uns in Sackgassen führt, sondern auf verschlungenen Pfaden kreisen wir doch um unsere Mitte, bis wir sie am Ende erreichen.

Bleiben Sie behütet auf der Reise zu Ihrer Mitte!
Ihr Pfarrer Heinrich Schwarz

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